Aus einer Infoschrift für Patienten von der Pharmafirma Hoffmann-LaRoche.
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Hoffmann-LaRoche AG
Service”Ich und Du”
Stichwort: Broschüre SozialePhobie
Postfach 120
79630 Grenzach-Wyhlen
Angst ist an sich ein völlig normales Gefühl, das bei jedem Menschen auftritt, genauso wie z.B. Zorn, Wut, Freude und Traurigkeit. Angst tritt zumeist in Situationen auf, die als bedrohlich, ungewiß und unkontrollierbar eingeschätzt werden. Angst wird oft als unangenehm erlebt, ist aber trotz der ablaufenden körperlichen Veränderungen und Beschwerden nicht gefährlich.
Angst ist eine natürliche und biologisch in unserem Organismus festgelegte Reaktionsform und dient der schnellen und konsequenten Reaktion auf eine äußere oder innere Gefahr. Während bestimmter Phasen unserer Entwicklung treten Ängste sogar regelhaft auf. Denken Sie z.B. an die Angst von Kleinkindern vor Fremden (das sogenannte Fremdeln). Einige andere grundlegende Ängste, die alle Menschen teilen, sind die vor Krankheit, Schmerzen, Behinderung, Dunkelheit, Einsamkeit, Trennung und Verlust.
Fast alle Menschen haben vermutlich auch schon einmal plötzliche AngstSchreckReaktionen erlebt, z.B. in einer gefährlichen Situation im Straßenverkehr. Weit verbreitet sind auch vorübergehende Angstgefühle vor möglicherweise unangenehmen Situationen, z.B. die Angst vor einer schwierigen Prüfung. Hier steigert sich die Angst meist schrittweise, je näher die Situation rückt, und ist eher durch
vielfältige vorübergehende ängstliche Befürchtungen, z.B. zu versagen, und körperliche Probleme, z.B. Nervosität, Unruhe, Schlafstörungen, gekennzeichnet, die allerdings nach dem Ereignis wie weggeblasen sind. Nicht nur bestimmte Umweltveränderungen, Belastungen und konkrete Situationen können Angstreaktionen auslösen, sondern auch bestimmte, sich wiederholende und eigentlich unerklärliche Körperempfindungen, wie z.B. das Gefühl, nicht richtig durchatmen zu können, Schwindelgefühle, Flimmern vor den Augen, Taubheits und Kribbelgefühle.
Angst ist ein normaler und notwendiger Teil unseres Lebens.
Angst tritt in der Regel als Reaktion auf bedrohlich beurteilte Ereignisse auf.
Angst äußert sich in unserem Verhalten, unseren Gedanken und Gefühlen sowie in körperlichen Reaktionen.
Angstreaktionen können unterschiedliche Ausmaße und Formen annehmen.
Angst hat viele Gründe
Angst kann also viele verschiedene Gründe haben. Angst kann in gefährlichen Situationen, bei neuen Erfahrungen, bei belastenden Lebensereignissen, Lebenskrisen und Sorgen auftreten.
Eine erhöhte generelle Angstbereitschaft kann aber häufig auch praktisch von Geburt an im Organismus angelegt sein oder, wie die Forschung gezeigt hat, durch bestimmte Lernerfahrungen in der Kindheit erworben und verfestigt werden und so später im Zusammenspiel mit Lebensereignissen und Krisen zu einer Angsterkrankung führen.
Ängste können letztlich auch im Zusammenhang mit körperlichen Erkrankungen auftreten. Als Beispiele seien hier die Angstbeschwerden bei einer Überfunktion der Schilddrüse oder bei einer Herzerkrankung genannt. Dies ist zwar seltener, dennoch sollten auch diese möglichen Ursachen von Angstbeschwerden bei einer ärztlichen Untersuchung abgeklärt werden.
Zumeist werden Ängste allerdings durch bestimmte Erfahrungen erlernt. So kann ein unangenehmes oder beängstigendes Erlebnis, z.B. wenn bereits eine angeborene erhöhte Angstbereitschaft besteht oder viele schwierige Lebensprobleme zusammenkommen, dazu
Frau P. war in ihrer Schulzeit eigentlich eine gute Schülerin gewesen, besonders bei schriftlichen Prüfungen. Mündliche Prüfungen sind allerdings in ihrem Leben zu einem immer größeren Problem geworden. Sie erinnert sich:
“Als Kind hatte ich in der Schule eine mündliche Prüfung an der Tafel. Ich war zwar gut vorbereitet, hatte aber kurz vorher mit einer Mitschülerin getuschelt und die Frage nicht verstanden. So konnte ich die Fragen des Lehrers nicht beantworten. Der Lehrer wurde ärgerlich und beschimpfte mich. Anstatt zu sagen, daß ich die Frage nicht verstanden hatte, schwieg ich (aus Scham. Meine Mitschüler lachten mich aus. Ich wurde rot, die Situation war mir schließlich so peinlich, daß ich aus dem Klassenzimmer lief. Seitdem hatte ich ständigAngst vor mündlichen Prüfungen, auch wenn ich gut gelernt hatte. Ich wurde so nervös, daß ich in der Prüfung alles vergaß und manchmal sogar kein Wort mehr herausbrachte.
Wozu haben wir Angst?
Warum ist das so? Wozu haben wir überhaupt Angst?
Während des menschlichen Werdegangs entwickelte sich die Angst als eine Reaktion mit hohem Überlebenswert. Als die Menschen noch in der freien Natur lebten, war Angst fast unablässig lebensnotwendig als Vorbereitung auf Flucht (schnelles Weglaufen) oder Kampf.
Angst ist aber auch heute noch sinnvoll und notwendig als automatische, also unbewußte und extrem schnelle “Alarmreaktion". Wenn beispielsweise beim Überqueren einer Straße ein Auto laut hupend und mit großer Geschwindigkeit auf Sie zukommt, läßt diese automatische Angstreaktion Sie ohne weiteres Nachdenken zur Seite springen und rettet Ihnen so möglicherweise das Leben. Ein gewisses Maß an Angst hilft und motiviert uns, uns auf Situationen vorzubereiten und uns zu bewähren. Die typischen und extrem schnell eintretenden körperlichen Veränderungen, die mit Angst verbunden sind, werden über bestimmte Strukturen unseres Gehirns vermittelt und dienen der Vorbereitung des Körpers auf schnelles Handeln: z.B. ermöglicht die Muskelspannungserhöhung ein rasches Weglaufen, wenn man einen möglicherweise lebensgefährdenden Fehler gemacht hat. Dabei erhöht sich blitzschnell unser Aktivierungsniveau, und Hunderte von Körperveränderungen werden ausgelöst. Beispielsweise beschleunigt sich der Herzschlag, und die Muskeln werden angespannt, so daß man schnellstmöglich der Gefahr entkommen kann.
Des weiteren bewirkt die Angst, daß Alarmsignale den Organismus warnen, unser Denken und Fühlen auf Gefahr ausgerichtet und die Aufmerksamkeit
KörperDenken/FühlenVerhalten
Herzrasen, Schwitzen
»es wird etwas Schlimmes geschehen«,
»ich muß hier raus«,
«ich bin verzweifelt«
vermeiden,
flüchten
Befinden wir uns in gefährlichen Situationen, z.B. bei entscheidenden Prüfungen oder beim Autofahren auf Glatteis, so sendet unser Körper Signale aus, die uns vor abträglichen Handlungen bewahren. Unser Herz klopft schneller, und wir verhalten uns vorsichtiger und konzentrierter. Vor Prüfungen bewegt uns letztendlich die Angst dazu, uns ausreichend vorzubereiten. Schauspieler berichten, daß sie ohne ein bestimmtes Maß an Lampenfieber nicht“gut" seien.
Wenn die Angst allerdings ein gewisses Ausmaß überschreitet, bringt sie mehr Nachteile als Vorteile mit sich. Überstarke Angst schränkt unser Denken und Verhalten ein und verringert beispielsweise die Konzentrationsfähigkeit. Wenn Sie also vor Prüfungen oder Gesprächen mit Fremden extrem nervös und ängstlich sind, bringen Sie möglicherweise kein Wort heraus oder sind so mit der Angst beschäftigt, daß Sie sich nicht mehr auf das Gespräch und das, was Sie sagen wollen, konzentrieren können.
Wie äußert sich Angst?
Angst ist nicht einfach ein Gefühl! Angst hat immer einen körperlichen Anteil (Stoffwechsel und Körperfunktion), wie Herzklopfen, Schwitzen und Verspannung der Muskeln, Übelkeit oder Mundtrokkenheit, einen gedanklichen und gefühlsmäßigen Anteil, wie z.B. die Furcht davor, daß etwas Peinliches geschehen könnte oder die Kontrolle zu verlieren, und drittens hat die Angst einen Verhaltensanteil. Sie wenden sich z.B. aus Angst ab, flüchten oder gehen kritischen Situationen von vornherein aus dem Weg.
Die drei Anteile treten jedoch nicht immer gleichzeitig oder gleich stark auf. Manche Menschen nehmen eher die körperlichen Anteile wahr, andere eher die gedanklichen oder die Verhaltensanteile. Alle drei Anteile spielen jedoch eine Rolle sowohl bei der Entstehung als auch bei der Aufrechterhaltung der Angst. Finden Sie doch einmal heraus, wie sich die Angst bei Ihnen persönlich ausdrückt. Versuchen Sie sich zu erinnern, wie Sie Angst empfinden. Denken Sie an die letzte Situation zurück, in der Sie Angst empfunden haben. Vergegenwärtigen Sie sich so genau wie möglich alle körperlichen Empfindungen, Ihre Wahrnehmungen und Gedanken und wie Sie darauf reagiert haben.
Angst und Streßreaktionen
Angstreaktionen sind durchaus vergleichbar mit dem, was wir im Alltagsleben auch als Streß bezeichnen, wie z.B Ärger am Arbeitsplatz, Streit mit Kollegen oder dem Ehepartner, Schwierigkeiten bei der Kontaktaufnahme, Prüfungen, unangenehme Gespräche.
Angst, Streß, unser gesamtes Verhalten, unsere Gefühle und unsere Gedanken sind immer mit regelhaften Vorgängen in unserem Körper verbunden. Diese Vorgänge sind biologischer oder biochemischer Natur und werden über bestimmte Vorgänge in unserem Gehirn gesteuert, den sogenannten Gehirnstoffwechsel. Bei der Sozialen Phobie, wie auch bei den meisten anderen psychischen Erkrankungen, gehen wir davon aus, daß bestimmte Stoffwechselvorgänge im Gehirn in besonderer Weise verändert sind. Diesen Veränderungen können viele Faktoren zugrunde liegen, die im einzelnen noch nicht bekannt sind. Um Angst besser zu verstehen und erfolgversprechender behandeln zu können, ist es hilfreich, auch zu verstehen, was passiert, wenn wir“gestreßt" sind.
Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, daß an der Aufrechterhaltung und/oder Entstehung von Angsterkrankungen sogenannte Botenstoffe (Neurotransmitter) im Zentralen Nervensystem wesentlich beteiligt sind. Die Informationsübertragung zwischen den Zellen (Neuronen) des Gehirns erfolgt über Botenstoffe (Neurotransmitter). Während die Reizweiterleitung in den Neuronen physikalisch (d.h. wie in einem Stromkabel) erfolgt, kann die Erregung von einem Neuron auf das andere nur mittels solcher Neurotransmitter erfolgen. Aus einem erregten Neuron werden diese Botenstoffe ausgeschüttet und treffen an einem nahegelegenen anderen Neuron u.a. auf bestimmte Stellen (Rezeptoren), die durch diese Botenstoffe erregt werden können. Die somit übertragene Erregung wird nunmehr in dem zweiten Neuron weitergeleitet und ggf auf weitere Neuronen nach dem gleichen Mechanismus über tragen. Die wichtigsten Neurotransmitter für unsere Fragestellung sind Noradrenalin, Serotonin und Dopamin.
so kommt es beim Eintreten von Belastungssituationen schnell und automatisch zu einer Beschleunigung bzw. Verstärkung vieler Körperreaktionen, wie z.B. einer Erhöhung der Herzfrequenz und zu einer Anspannung der Muskulatur. Das Ausmaß dieses Erregungsanstiegs ist dabei abhängig von dem Ausmaß der Belastung, d.h., von unserer ganz persönlichen Einschätzung ihrer Bedrohlichkeit also unseren Gedanken. Wenn Frau P. also erwartet, daß in der Prüfung etwas Furchtbares oder Peinliches, also etwas sehr Bedrohliches geschehen wird, wird sie schon vorher sehr erregt
Beistarken Streßreaktionen dauert dies eher länger, bei schwachen Streßreaktionen erfolgt die Rückkehr zum normalen Erregungsniveau sehr schnell.
Jeder von uns erlebt täglich unzählige kleinere und größere Belastungssituationen. Manche sind eher kurz, wie z.B. Schreckreaktionen beim Autofahren, und manche dauern länger an, z.B. wenn wir in großer ängstlicher Anspannung eine wichtige berufliche Beurteilungssituation durch Vorgesetzte (z.B. Gehaltsverhandlung) erwarten. Wichtig für unser Verständnis von Angst ist nun, daß wir erkennen, daß ein und dieselbe Belastung unterschiedlich stark erlebt werden kann. Denn abhängig vom jeweiligen Zustand des Organismus, d.h. also unserem allgemeinen Ausgangsniveau, fallen die Streßreaktionen und deren Erleben unterschiedlich stark aus.
Bei geringer bis starker Streßreaktion wird die Schwelle zum Angsterleben nicht erreicht. Erst bei sehr starken Belastungssituationen, denken Sie z.B. an das eingangs zitierte Beispiel des Produktmanagers, der etwas auf der Messe präsentieren muß, kommt es zu einem so ausgeprägten Erregungsanstieg, daß wir diesen als überwältigende Angst erleben.
Starke Belastungssituationen führen in der Regel zu stärkeren Streßreaktionen, geringere Belastungssituationen zu automatisch ablaufenden, schwachen Streßreaktionen, die wir bewußt oft gar nicht wahrnehmen. Diese Erhöhung der Erregtheit dient vor allen Dingen der Vorbereitung des Körpers auf schnelles Handeln. Sobald die Belastung nachgelassen hat oder deren Ursache bewältigt ist, fällt unsere Erregung automatisch mehr oder minder schnell wieder ab. Der Körper reguliert sich also selbst. Bei Ausgangsniveau bereits eine mittelstarke Streßreaktion die kritische Schwelle erreicht.
Fassen wir zusammen: Sind wir ausgeglichen und befindet sich unser Organismus in einer niedrigen Anspannungssituation, z.B. nach einem erholsamen Urlaub, wird möglicherweise die gleiche Belastungssituation eine schwächere Streßreaktion auslösen, die von uns leicht bewältigt werden kann. Bei hoher Anspannung werden wir hingegen bereits bei kleinen Ereignissen Ängste und Sorgen empfinden
Das Ausmaß der Grundanspannung ist nicht nur von der Summe aller Umweltereignisse und der Zeitspanne bestimmt, in der sie auftreten, sondern auch vom uns angeborenen “Nervenkostüm" und, damit verbunden, unserer allgemeinen Belastbarkeit, die bei jedem Menschen unterschiedlich ausgeprägt ist.
Menschen mit grundsätzlich hohem Anspannungsniveau sind also anfälliger für überschießende AngstStreßReaktionen.