Projekt Lebensraum

SOTERIA,

dieser Name steht für Einrichtungen, in denen Menschen, die sich in akuten psychotischen Schüben befinden, ihre `Psychose´ in Begleitung von erfahrenen, ständig supervidierten Laien ( die 3 nicht mehr finanzierten Projekte in Kalifornien), von psychosozialen, ausgebildeten Pflegekräften (das existierende Projekt in Bern/Schweiz) oder von psychotherapeutischen Fachkräften verschiedener Therapieausrichtungen (wie das Konzept für das in Berlin im Rahmen des KommRum entworfenen Projektes `Lebensraum´- Autoren: Heinrich Bertram, Susanne Bode und Christine Edert) weitgehend oder ausschließlich ohne Psychopharmaka durchstehen und durchleben können.

Es gibt einen internationalen Arbeitskreis der Soteria-Projekte der sich inzwischen aber sehr sporadisch trifft, um sich Gedanken zur Umsetzung der Idee zu machen und Erfahrungen auszutauschen. Ansätze der Projektidee sind in speziellen Abteilungen Psychiatrischer Krankenhäuser (z.B. München Haar oder die Klinik in Nauen/Brandenburg) zur Anwendung gekommen - hierbei findet die Grundidee aber Einschränkungen, da weiterhin im Rahmen von psychiatrischen Krankenhäusern angewendet. Die unabhängige Soteria Frankfurt/Oder mußte nach dem Auslaufen der EU-Projektfinanzierung wieder beendet werden.

An dieser Stelle meiner Homepage stehen Berichte zur Soteriabewegung und zu `Lebensraum´ , evtl auch zu das Thema ebenfalls berührenden Einrichtungen (wie z.B. das Berliner `Weglaufhaus´).

Literatur: Elisabeth Aebi Luc Ciompi Hartwig Hansen (Hg): Soteria im Gespräch- Über eine alternative Schizophreniebehandlung. Psychiatrie Verlag.Bonn 1993.

Karl-Heinz Brill (Hrsg): Die Soteria_Idee lebt: Erfahrungen-Konzepte-Perspektiven. Dachverband Psychosozialer Hilfsvereinigungen e.V. Bonn  ISBN 3-932196-00-7

 

H.Bertram, S.Bode, C.Edert (Hrsg.)

Konzept des Projekts “Lebensraum" Berlin

Arbeitskreis “Verrückte Psychotherapie" des KommRum e.V. und des Krisen und Beratungsdienstes (KuB)  Berlin (Konzept vom Oktober 1990)

Zur Entstehung des Projektes

Die lnitiatorinnen des Projektes arbeiten z.Z. in verschiedenen psychologischen Arbeitsfeldern (Einzel, Gruppen und Familienpsychotherapie, psychologische Beratung, Krisenintervention, (sozial) therapeutische Betreuung in verschiedenen Therapeutischen Wohngemeinschaften und im Betreuten Einzelwohnen) des Kommunikationszentrums BerlinFriedenau (KommRum e.V.), des Krisen und Beratungsdienstes (KuB) bzw. in unabhängiger Psychotherapiepraxis. Hierbei konnte ein großer Erfahrungsschatz im Umgang mit sog. psychotischen Krisen bzw. “schizoiden Prozessen"* gesammelt werden.

Uns wurde in unserem therapeutischen Arbeitsfeld in der Begegnung mit sich verrückt verhaltenden Menschen die Notwendigkeit deutlich, Lebensräume zu schaffen, in denen verrückte Erfahrungen und Lebensäußerungen gelebt werden können. Durch eine intensive psychotherapeutische Begleitung können diese Erfahrungen aufgearbeitet und damit in die eigene Persönlichkeit integriert werden. Bislang werden solche akut psychotischen Krisen bzw. schizoiden Prozesse durch die meist erfolgende Psychiatrisierung und damit einhergehende PsychopharmakaBehandlung unterdrückt und abgespalten, wodurch sie der psychischen Verarbeitung entzogen werden (vgl. Benedetti, 1975, S. 78).[weiter nach dem folgenden Exkurs]

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EXKURS:

Unter psychotischen" Krisen bzw. “schizoiden" Prozessen verstehen wir keine medizinischpsychiatrischen Phänomene, sondern wir begreifen sie als bestimmte verrückte Bewältigungsstrategien von Menschen mit einer spezifischen individuellen Geschichte unter belastenden Lebensbedingungen. In eindeutiger Weise sind diese Begriffe also von dem herkömmlichen psychiatrischen Verständnis und Kontext abzugrenzen und werden von uns nur auf der Beschreibungsebene zur leichteren Verständigung verwendet. So darf der Begriff “schizoider Prozeß" in keiner Weise mit dem, was in der Psychiatrie als“Prozeßpsychose" bzw. als“Prozeßschizophrenie" bezeichnet wird, verwechselt werden. Dagegen verstehen wir unter einem “schizoiden Prozeß" eine psychische Reaktion auf verletzende bzw. traumatische Erlebnisse, die zu einer aufhebbaren Desintegration und Fragmentierung der Einheit der Persönlichkeit führt (vgl. Beaumont, 1988, S. 17f). Hierbei betont der Begriff “Prozeß", den wir in existentieller Weise als“Lebensprozeß" verstehen, daß es sich um eine psychische Entwicklungs und Wachstumskrise handelt, die eine Potenz des menschlichen Lebens darstellt.

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Das Durchleben der psychotischen Krise birgt unter bestimmten Bedingungen die Chance von Integration, Bewußtheit und Reifung. Voraussetzung hierfür ist die menschliche Begegnung und Auseinandersetzung und die psychotherapeutische Begleitung. Dieser Prozeß steht im Gegensatz zur bloßen pharmakologischen Ruhigstellung, die hier die Ausgrenzung und Abspaltung wesentlicher Persönlichkeitsanteile impliziert (vgl. Benedetti, 1975, S. 78). Für Menschen in solchen extremen Lebensprozessen reicht das bestehende ambulante psychotherapeutische Angebot oft nicht aus.

Auch in Therapeutischen Wohngemeinschaften genügen die Ressourcen der Mitbewohner und der Betreuer häufig nicht, um zu vermeiden, daß Menschen in akuten Psychosen in eine psychiatrische Klinik gehen bzw. dort hingebracht werden.

Gleichzeitig weist die stationäre psychiatrische Behandlung nur äußerst geringe Erfolge hinsichtlich der längerfristigen Entwicklung der Betroffenen auf. Sondern sie leitet meist nur eine unheilvolle Psychiatriekarriere ein, welche die Selbst und Fremdeinschätzung sowie das Selbstwertgefühl der Betroffenen negativ bestimmt und letztlich zur Drehtürpsychiatrie führt. Ermutigend sind dagegen die Ergebnisse der“Soteria Bern", die seit Mai 1984 als Pilotprojekt der Sozialpsychiatrischen Universitätsklinik eine Milleutherapie mit Menschen in akut schizophrenen oder anderen psychotischen Prozessen durchführt (vgl. Ciompi/Bernasconi, 1986, S. 172ff).

Konzeptionell ähnliche Modelle existierten mit annähernd gleich ermutigenden Ergebnissen auch in den USA. So kommen Mosher und Menn in einer vergleichenden Verlaufsstudie zu dem Ergebnis, daß die Rückfallfrate während der 24 Monate dauernden Untersuchung bei neuroleptisch unbehandelten Personen, die in diesen Modellprojekten psychosozial betreut wurden, konstant geringer war als bei einer vergleichbaren psychiatrischen Patientengruppe (vgl. Mosher, 1984, S. 275f. und Mosher, 1975, S. 455ff.).

Zudem ist die Bereitschaft der Krankenkassen äußerst gering, psychotherapeutische Behandlungskosten für Menschen in psychotischen Lebensprozessen zu tragen.

Aus der Diskussion innerhalb der Berliner Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (BGSP) und der bezirklichen Psychosozialen Arbeitsgemeinschaften (PSAGen) hat sich gezeigt, daß ein dringend notwendiger Bedarf einer intensiven psychotherapeutischen Begleitung ohne Psychopharmakabehandlung in einem eigens hierfür konzeptionierten “Lebensraum" besteht. Selbstverständlich kann mit diesem Angebot die generelle ambulante Misere in diesem Bereich der Gesundheitsversorgung nicht behoben werden.

Zielgruppe und Auf nahmekriterlen

Das Angebot des Projekts “Lebensraum" richtet sich an Menschen in akut schizoiden bzw. psychotischen Prozessen, die sich entweder von sich aus an uns wenden oder von staatlichen oder nichtstaatlichen Einrichtungen an uns vermittelt werden.

Die Aufnahme erfolgt ausschließlich auf freiwilliger Basis, weil nur so ein tragfähiges therapeutisches Arbeitsbündnis entstehen kann.

Wenn ein Platz im Projekt “Lebensraum" frei ist, und sich ein Mensch in einer akuten psychotischen Krise an uns wendet, entscheidet nach dem Erstkontakt das anwesende MitarbeiterInnenteam über die probeweise Aufnahme. Hierbei wird ein vorläufiger Therapievertrag soweit als möglich geschlossen. Nach einer gewissen Probezeit wird von allen MitarbeiterInnen über die endgültige Aufnahme mit den entspechenden Therapievertragsbedingungen entschieden.

Menschen mit primärer Suchtproblematik bzw. Personen, deren verrücktes Verhalten auf einem eindeutig organisch verifizierbaren Befund basiert, können nicht aufgenommen werden.

Der Ausschluß wegen feststellbarer somatischer Krankheitsbefunde (beispielsweise ein Gehirntumor, eine Gehirnatrophie oder ein hirnorganisch bedingtes Psychosyndrom) wird von unserem ärztlichen Hintergrunddienst entschieden.

Präventiver Aspekt und Charakter des Projekts “Lebensraurn"

Für uns sind psychotische Krisen und Prozesse nicht als Krankheit von der Persönlichkeit abzuspalten, sondern sind sinnhafte Erscheinungsformen menschlichen Lebens. Sie sind als Reaktionen auf verletzende und traumatisierende Lebensereignisse zu begreifen. Werden psychotische Prozesse einfach mit Psychopharmaka, speziell Neuroleptika, ruhiggestellt oder in anderer Weise durch mittelbaren oder unmittelbaren Zwang unterdrückt, so können die in der Psychose reaktualisierten, verletzenden Erfahrungen und Erlebnisse nicht verarbeitet werden. Sie stehen dann wie fremde Teile der eigenen Person dem Betreffenden gegenüber. Dies führt zu massiven Entfremdungserlebnissen und Identitätsstörungen.

Die Ausgrenzung psychotischer Prozesse und damit die Unmöglichkeit, sich mit diesen auseinanderzusetzen, ist eine wesentliche Ursache für die Entstehung und Chronifizierung einer Psychiatriekarriere.

Deswegen halten wir es für notwendig, zum einen einen Lebensraum anzubieten, in dem es möglich ist, die erste Psychiatrisierung zu vermeiden, die oft verheerende Folgen für den weiteren Lebensweg des/der Betroffenen nach sich zieht. Zum anderen gehen wir davon aus, daß jeder weitere psychotische Prozeß das Potential in sich birgt, durch die Verarbeitung und Integration der verletzenden Erfahrungen die Psychiatriekarriere zu beenden und damit eine weitere Chronifizierung zu verhindern. Denn erst durch den therapeutischen Prozess der Verarbeitung und Integration können die in der Psychose aufgebrochenen erstarrten Lebensmuster zu neuen und adäquateren Formen der Realitätsbewältigung führen.

Entwicklung und Verlauf “psychotischer" Prozesse

Werden Menschen in ihrer Lebensentwicklung und/oder in ihren Lebensäußerungen gestört, verhindert oder verletzt und bringen eine erhöhte Verletzlichkeit mit, kann es zu einer Desintegration von Erlebnissen und Gefühlen kommen. Die Integration von E rfahrungen kann gestört sein, Persönlichkeitsanteile können auseinanderfallen.

Besonders unter kritischen Belastungen im zwischenmenschlichen Bereich können diese Menschen in akut schizoide bzw. psychotische Prozesse geraten, die ihnen die Bewältigung des Alltags nicht mehr erlauben, weil alle geistigen und gefühlsmäßigen Kapazitäten nach innen, auf die Bewältigung der eigenen seelischen Prozesse gerichtet sind.

Ob der“akut psychotische" Zustand sich verfestigt oder eine positive Lösung/Integration erfährt, hängt maßgeblich von den äußeren Einflüssen und Bedingungen ab

Hervorragende Bedeutung haben die Behandlungsbedingungen inder aktuellen Situation: die Haltungen des therapeutischen Teams und anderer Begleiterinnen wie Angehörige und Freundinnen;die sozialen Bedingungen und Möglichkeiten und später: die Qualität der Nachbetreuung;schließlich die Entscheidung des betroffenen Menschen selbst, sich auf diesen Prozeß einzulassen.

Unter der in “Soteria Bern" angewandten Milieutherapie gibt es bei zwei Dritteln aller Patienten einen positiven Entwicklungsverlauf, also bei erheblich mehr Menschen als bei der traditionell psychiatrischen Behandlungsmethode (vgl. Hess, 1987).

Therapeutische Grundlagen

Den Bewohnerinnen wird ein Ort zum Sein angeboten. Dieser wird im Gegensatz zu ihren bisherigen Erfahrungen nicht von Wertungen und Normierungen vorbestimmt, sondern bietet die Möglichkeit zur Auseinandersetzung, jedoch nicht zum bloßen Ausagieren. Es gibt drei Grundregeln:

1 . Kein Alkohol und keine Drogen. Medikamente nur nach Absprache.

2. Keine körperliche Gewalt.

3. Einhaltung der individuellen Vereinbarungen (z.B. über die Länge der Aufenthaltsdauer, die vereinbarten Gesprächstermine etc.)

In diesem Raum wird mit der Unterstützung und Begleitung der MitarbeiterInnen und der anderen Bewohnerinnen die Konzentration auf die eigenen psychischen Prozesse möglich. Die Bewohnerinnen können langsam in der Erfahrung des Seins, des Angenommenwerdens und in der Auseinandersetzung mit anderen Kraft entwickeln: Kraft, sich mit alten Verletzungen auseinanderzusetzen, sie zu benennen und schließlich in einen lebensgeschichtlich sinnvollen Kontext zu integrieren, so daß sie ihren Verletzungen nicht mehr hilflos ausgeliefert sind. Gleichzeitig geben die neuen Erfahrungen der Bewältigung der eigenen Lebensgeschichte ein Mehr an Sicherheit und eine stabilere Basis für die eigene Identität.

Da die Lebensgeschichte der Bewohnerinnen durch verletzendeund desintegrierende Erfahrungen gekennzeichnet ist, müssen denBewohnerinnen im Projekt “Lebensraum” neue Haltungen entgegengebracht werden, von denen wir die folgenden für die wesentlichen ansehen:

    1  Jeder Mensch hat ein Recht, eigene Gefühle, Wünsche, Bedürfnisse zu haben und zum Ausdruck zu bringen. Er hat in diesem existentiellen Sinn ein Recht zu“leben". Die Grundlage für das Miteinanderleben besteht im gegenseitigen Respekt und in der Achtung persönlicher Grenzen.

2. Jeder Mensch hat ein Recht auf Achtung und Respekt. Der persönliche Respekt ist eine G rundvoraussetzung jeder zwischenmenschlichen Beziehung. Wenn sich zwei Menschen nicht gegenseitig respektieren können, dann sollte die Beziehung beendet werden.

3. Jeder Mensch hat ein Recht auf seelische und körperliche Integrität.

4. Lebensstrategien und Lebensäußerungen, auch verrückte, haben einen Sinn und jede/r muß in dieser Einzigartigkeit respektiert werden.

5. Widerstand ist Schutz und oft notwendig. Aus diesem Grund halten wir es für falsch, ihn zu pathologisieren oder zu versuchen, ihn zu brechen. Vielmehr muß Widerstand respektiert werden; denn er steckt die Grenzen für die weitere Auseinandersetzung ab.

Im Prozeß der therapeutischen und alltäglichen Begleitung und Auseinandersetzung sollen die BewohnerInnen lernen, diese Haltungen für sich zu übernehmen und zu leben. Die therapeutischen Techniken und Methoden können und müssenin diesem Prozeß unterschiedlicher Art sein, um auf die Einzigartigkeit der Individuen in einer adäquaten Weise einzugehen. Wichtige Impulse für die Therapie mit Menschen in psychotischenProzessen und Krisen kamen von den verschiedenen familientherapeutischen, system und kommunikationstheoretischen Ansätzen (Bateson, Jackson, Haley, Watzlawick, Laing, SelvinviPalazzoli, Lidz, Fleck u.a.); in Vergessenheit geratenen älteren Ansätzen der psychoanalytischen Forschung (Ferenczi, Balint) sowie neueren psychoanalytischen Richtungen (Benedetti, Stierlin); dem Konzept von Luc Ciompi und den Erfahrungen aus der Reform und Institutionsanalyse der italienischen Psychiatrie (Jervis, Basaglia u.a.). Diese therapeutischen Richtungen haben zum Umdenken gezwungen und fordern eine Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse in die Praxis.

Therapie

Aus den praktischen Erfahrungen der KommRum und KUB - Mitarbeiterinnen und aus den Ergebnissen von“Soteria Bern" und aus den USA sowie aus den vorher genannten therapeutischen Ansätzen lassen sich folgende Rahmenbedingungen ableiten, unter denen die Entwicklung von Menschen in psychotischen Krisen und schizoiden Prozessen wesentlich günstiger verläuft als bei einer traditionellen psychiatrischen Behandlung:

    1 . Übersichtlicher Lebens und Wohnraum, der einem alltäglichen Wohnverhältnis in einer Gemeinschaft entspricht und eine angenehme Atmosphäre schafft

    2. Klar strukturiertes, nachvollziehbares, offenes und vertrauenerweckendes therapeutisches Milieu, das es dem/der Betreffenden leicht macht, sich mitzuteilen und sich mit sich und anderen auseinanderzusetzen und in dem er/sie sich unterstützt, akzeptiert und getragen fühlt

    3. Weitestgehende personale Kontinuität in der therapeutischen Unterstützung und Begleitung von der akuten Anfangsphase über den Stabilisierungsprozeß bis zur sozialen und beruflichen Integration

    4. Sicherheit, Halt und Vertrauen vermittelnde mitmenschliche Begleitung, welche während der akuten psychotischen Krise durch einfühlendes Verständnis entlastend und stützend wirkt .                       Gleichzeitige psychotherapeutische Aufarbeitung der aus dem Unbewußten aufsteigenden traumatischen       Lebenserfahrungen (vgl. Ciompi/Bernasconi, 1986, S. 172ff)

    5.Vermittlung einer identitätsstärkenden und Zuversicht gebenden Überzeugung, daß in dem psychotischen Erleben das Potential für die dauerhafte Wendung der Lebensnot liegt und nun nutzbar gemacht werden kann

    6.Anbieten eines stabilen sozialen Netzwerks, das einen wesentlichen Beitrag zur Aufhebung der persönlichen Fragmentierung und Desintegration leistet und das über die Aufenthaltsdauer im “Lebensraum" hinausgeht

    7.Neuroleptische Medikation nur auf Wunsch der BewohnerInnen, nach Diskussion und von einem externen Psychiater oder Neurologen verordnet

    8. Systematische Einbeziehung des relevanten sozialen Umfelds, insbesondere der Familie und weiterer wichtiger Bezugspersonen, wenn es von den Bewohnerinnen gewünscht wird

    9. Möglichst einheitliche und klare Informationen für Betreuerinnen, Bewohnerinnen und Angehörige über das Wesen der psychotischen Prozesse, Behandlungsmethoden und ziele; die Wichtigkeit der systematischen Nachbetreuung und der Möglichkeit präventiver Maßnahmen

    10. Systematische Nachbetreuung und Rückfallprophylaxe über mindestens zwei Jahre

    11. Räume für materialen Ausdruck und Betätigung (Werkstatt, Töpfern, Garten, Tiere etc.), damit sich nicht alles Sein nur in der Zwischenmenschlichkeit ausdrückt

    12. Die Aufenthaltsdauer ist an die therapeutische Begleitung gebunden, vergleichbar mit einem stationären Klinikaufenthalt, so daß die Bewohnerinnen nicht ihre Wohnung verlieren

    13. Einen besonders wichtigen Faktor für den Erfolg der therapeutischen Begleitung sehen wir in der positiven Motivation, der Einstellung und dem persönlichen Engagement der Mitarbeiterinnen

Arbeitskonzept des Projekts

Die Bewohnerinnen durchlaufen sehr unterschiedliche betreuungsintensive Phasen während ihres Aufenthalts im Projekt “Lebensraum", d.h., die Arbeit kann nicht einfach im Schichtdienst organisiert werden, sondern setzt von den Mitarbeiterinnen ein hohes Maß an Flexibilität für die Arbeitszeit voraus.

Weiterhin sind für diesen sensiblen Arbeitsbereich die Beziehungen der Mitarbeiterinnen von entscheidender Bedeutung. Sie müssen aus einer gemeinsamen (Lebens)Haltung und einem guten Vertrauensverhältnis untereinander heraus eine Betreuungssituation schaffen, in der sich die Bewohnerinnen sicher und angenommen fühlen. Wichtige Begleitung für die therapeutische Arbeit ist die Supervision. Die in der Betreuung arbeitenden Personen sollen über eine therapeutische Zusatzausbildung und praktische Erfahrungen verfügen.

Von den zehn betreuerisch tätigen Mitarbeiterinnen sollen mindestens zwei gute sozialarbeiterische Erfahrungen mitbringen und mindestens eine Person gute krankenpflegerische Fähigkeiten und Kenntnisse (Dipl.Psych., DiplSoz, Dipi.Päd., Sozialarbeiterln, Krankenpflegerin, Beschäftigungstherapeutln). Es wird folgende Arbeitsbereiche geben:

- Einzeltherapie und betreuung - therapeutische Gruppen

- Hausversammlung

- Kontakte und Gespräche mit Freunden, Angehörigen etc. Unterstützung in alltagspraktischen Fähigkeiten

- Aktivitäten

- Alltagsleben,

-  Mitarbeiterinnenversammlung Perspektivenentwicklung

- Nachbetreuung

- Supervision

- Kooperationsarbeit mit anderen Einrichtungen

- Öffentlichkeitsarbeit und Fortbildungsangebote Verwaltungsarbeit

- Hausmeistertätigkeiten

- Möglichkeiten für Praktika und selbstbestimmte Forschung

Das Haus “Lebensraurn"

Für die psychotherapeutische Betreuung sollte ein Haus, nicht eine Wohnung zur Verfügung stehen, damit es keine Normierung des Lärms (des Ausdrucks) geben muß.

Zudem sollte ein Garten vorhanden sein, weil Natur ausgleichend und beruhigend wirkt und Möglichkeiten zur praktischen (nichtzwischenmenschlichen) Betätigung bietet.

Folgende Räumlichkeiten sollten vorhanden sein:

Acht Bewohnerlnnenzimmer, ein großer Gruppenraum, ein mittelgroßes Zimmer (“weiches" Zimmer oder Regressionszimmer), ein kleines Gesprächszimmer, ein Mitarbeiterinnenzimmer, ein Büro, eine große Küche, ein Aufenthalts oder Wohnzimmer, ein Werk, Mal oder Ausdrucksraum, mind. ein Bad, groß und mit Badewanne und eine Hausmeisterwohnung.

Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen

Mit folgenden Institutionensammen  bzw. Personen streben wir eine enge ZuSammenarbeit an:

- unserem externen Vertrauensarzt

- psychiatrischen Stationen bzw. Abteilungen

- Betrieben für Arbeitserfahrungen und spätere möglichst langfristige

  Arbeitsmöglichkeiten

- dem Arbeitsamt

- den Sozialämtern

- den gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften

- Firmen zur beruflichen Rehabilitation Psychiatriebetroffener

- therapeutischen Wohngemeinschaften

- psychologischen Beratungsstellen

- Kontakt und Anlaufstellen

- sonstige Rehabilitationseinrichtungen.

Literatur (eine Auswahl)

Balint, Michael: Regression  Therapeutische Aspekte und die Theorie der Grundstörung. München 1987

Balint, Michael: Die Urformen der Liebe und die Technik der Psychoanalyse. Stuttgart 1981

Barnes, Mary: Meine Reise durch den WahnsinnAufgezeichnet von Mary Barnes und kommentiert von ihrem Psychiater Joseph Berke. Frankfurt am Main 1983

Basaglia, Franco (Hrsg.): Die negierte Institution oder Die Gemeinschaft der Ausgeschlossenen  Ein Experiment der psychiatrischen Klinik in Görz. Frankfurt am Main 1980

Beaumont, Hunter: Ein Beitrag zur Gestalttherapie und zur Behandlung schizoider Prozesse, In: Gestalttherapie 2/1988, S. 16ff

Benedetti, Gaetano: Therapeutische Grundprobleme im Umgang mit dem schizophrenen Kranken. In: Benedetti, G.: Ausgewählte Aufsätze zur Schizophrenielehre. Göttingen 1975; S.78

Benedetti, Gaetano: Ausgewählte Aufsätze zur Schizophrenielehre. Göttingen 1975

Benedetti, Gaetano: Todeslandschaften der Seele - Psychopathologie, Psychodynamik und Psychotherapie der Schizophrenie. Göttingen 1987

Benedetti, Gaetano: Klinische Psychotherapie - Einführung in die

 Psychotherapie der Psychosen. Bern Stuttgart Wien 1980

BoszormenyiNagy/Framo: Familientherapie 1 + 2  Theorie und Praxis. Reinbek bei Hamburg 1975

Ciompi, Luc: Affektlogik Über die Struktur der Psyche und ihre Entwicklung. Ein Beitrag zur Schizophrenieforschung. Stuttgart 1982

Ciompi, Luc (Hrsg.): Sozialpsychiatrische Lernfälle. Aus der Praxis für die Praxis. Bonn 1985

Ciompi/Bernasconi:“Soteria Bern". Erste Erfahrungen mit einer neuartigen Milieutherapie für akute Schizophrene. In: Psychiatrische Praxis, 5; 1986; S. 172176

Dörner, K. (Hrsg.); Neue Praxis braucht neue Theorie. Gütersloh 1987

Hess, Daniela: Über eine Wohngruppe für akut Schizophrene (“Soteria Bern") und das Konzept der besonderen Verletzbarkeit. In: Dörner, K. (Hrsg.): Neue Praxis braucht neue Theorie. Gütersloh 1987

Jervis, Giovanni: Kritisches Handbuch der Psychiatrie. Frankfurt am Main 1988

Laing, Ronald: Das geteilte Selbst Eine existentielle Studie über geistige Gesundheit und Wahnsinn. Reinbek bei Hamburg 1981

Laing, Ronald: Phänomenologie der Erfahrung. Frankfurt am Main 1981

Lidz/Fleck: Die Familienumwelt der Schizophrenen. Stuttgart 1979

Mosher u.a.: Soteria, Evaluation of a homebased treatment for schizophrenia; Amer. J. Orthopsychiat., 45, 1975, S. 455 ff

Mosher, L.: Schizophrenie: Aktueller Forschungsbericht. In: Freed man/Kaplan/Sadockl/Peters (Hrsg.): Psychiatrie in Praxis und Ge genwart. Band 1: Verlust und Schizophrenie, affektive Erkrankun gen, Trauer. Stuttgart 1984, S. 275 ff

Scharfetter, Christian: Schizophrene Menschen. Mit einem Geleitwortvon Manfred Bleuler. MünchenWeinheim 1986

Selvini Palazzoli, u.a.: Paradoxon und Gegenparadoxon  Ein neuesTherapiemodell für die Familie mit schizophrener Störung. Stuttgart 1985

Tolle, Rainer: Psychiatrie. Berlin Heidelberg 1985

 Watzlawick,Paul:: Menschlische Kommunikation  Formen, Störungen, Paradoxien B ern, Stuttgart, Wien 1985

 Watzlawick,Paul: Lösungen Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels. Bern Stuttgart Wien 1988

Watzlawick, Paul: Die Möglichkeit des Andersseins. Zur Technik der therapeutischen Kommunikation. Bern Stuttgart Wien 1986

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Letzte Aktualisierung      11.12.2010

 

 

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bis 11.12,10 

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